Prostitution in der Schweiz


Prostitution in der Schweiz ist ein legales Gewerbe. Das gilt sowohl für das Angebot und den Konsum wie auch für das Betreiben von Bordellen, oft als Salons oder allgemeiner als Etablissements bezeichnet. «Die Schweiz gehört in Sachen Prostitution zu den liberalsten Ländern», wobei die Prostitution und ihre Rahmenbedingungen stark reglementiert sind. Ab den späten 1990er-Jahren haben sich mit den elektronischen Medien die Kontaktmöglichkeiten für sexuelle Dienstleistungen diversifiziert, wodurch der Anteil der sichtbaren Strassenprostitution am ganzen Gewerbe zurückgegangen ist. Das sogenannte Rotlichtmilieu bleibt in den grösseren Städten traditionell verbunden mit bestimmten Vierteln, so in Zürich mit dem Langstrassenquartier, in Genf mit Les Pâquis oder in Basel mit dem Klingental. Kulturell bildet die Schweiz keine Ausnahme: «Die Haltung der europäischen Kultur gegenüber der Prostitution zeichnet sich durch Ambivalenz und Doppelbödigkeit aus: Ob rechtlich erlaubt, bloss geduldet oder verboten, wird diese zugleich in die dunkeln Zonen der Gesellschaft verbannt, dabei aber als Notwendigkeit oder Selbstverständlichkeit in ihrer Mitte akzeptiert.»

Definitionen




Begriffe




Umfang


Allgemeine Tendenzen wurden und werden immer wieder für einzelne Bereiche der Prostitution oder Kategorien von Prostituierten beobachtet; z. B. gab das Bundesamt für Polizei (BAP) 1999 an: «In der Schweiz gibt es eine wachsende Zahl von Clubs und Salons, wo sich über 95 % der Frauen – als Touristinnen getarnt – illegal prostituieren.» Konkrete Zahlen zur Quantität von Prostituierten und ihren Kunden oder zum Anteil von Frauen unter ihnen sind jeweils lediglich Schätzungen:



Aktuelle rechtliche Situation


Gesetze


Die Gesetze, Verordnungen und Reglemente verfolgen allgemein in erster Linie ihr stets erklärtes Ziel des Schutzes von Prostituierten, Migrierten, Minderjährigen, Opfern von Menschenhandel und von Frauen allgemein, in zweiter Linie jenes der öffentlichen Ordnung und des Schutzes der Quartierbevölkerung vor Lärm und anderer Belästigung. Prostituierte können als Selbständige arbeiten, in Bordellen bzw. Salons ist eine Anstellung auch möglich.

Die Schweiz hat auf Bundesebene kein Prostitutionsgesetz. Was allgemein in Bezug auf Prostitution verboten ist, bestimmt das Strafgesetz in wenigen Artikeln. Neben dem Verbot des Menschenhandels in Art. 182 sind hier auch die Art. 193 Ausnützung der Notlage, Art. 195 Förderung der Prostitution und Art. 196 Sexuelle Handlungen mit Minderjährigen gegen Entgelt zu nennen. Art. 199 Unzulässige Ausübung der Prostitution verpflichtet zur Beachtung der «kantonalen Vorschriften über Ort, Zeit oder Art der Ausübung der Prostitution und über die Verhinderung belästigender Begleiterscheinungen».

Der Ausschluss der vertragsrechtlichen Bindung nach Art. 20 OR für unsittliche Verträge bezieht sich nicht auf die tariflichen Vereinbarungen in der Prostitution. Wenn Freier sich weigern, den für eine sexuelle Dienstleistung vereinbarten Betrag zu bezahlen, kann dieser von den Prostituierten gerichtlich eingeklagt werden.

Die Bundesgesetze bilden lediglich einen Rahmen, die eigentliche Reglementierung der Prostitution obliegt den 26 Kantonen. In 11 von ihnen gelten – auf kantonaler oder kommunaler Ebene – spezifische Verordnungen oder Gesetzesartikel, teilweise ganze Prostitutionsgesetze:



Steuern und Sozialabgaben


Prostitution gilt als wirtschaftliche Tätigkeit. Einkünfte aus der Prostitution unterliegen der Steuerpflicht, und es müssen die Sozialabgaben abgerechnet werden. Gewerbliche Ausgaben wie Raummiete, Raumausstattung oder Arbeitskleidung können von der Steuer abgezogen werden.

Jugendschutz


Sexuelle Handlungen mit Personen unter 16 Jahren sind strafbar, wenn der Altersunterschied zwischen den Beteiligten mehr als drei Jahre beträgt (Art. 187 Strafgesetzbuch). Nach Artikel 195 des Strafgesetzbuches ist es ausserdem strafbar, eine minderjährige Person, also jünger als 18 Jahre, der Prostitution zuzuführen. Freier eines minderjährigen Prostituierten machen sich nach Artikel 196 Strafgesetzbuch strafbar. Diese Regelungen sind unabhängig vom Geschlecht der Beteiligten.

Ausländische Prostituierte


Ausländische Prostituierte benötigen einen Aufenthaltsstatus mit Arbeitsbewilligung. Erleichterte Bedingungen bestehen für Prostituierte aus Ländern der EFTA und der EU, für Prostituierte aus dem Vereinigten Königreich gilt die sogenannte 90-Tage-Regelung.

Geschichte (20. und 21. Jahrhundert)


Rechtsgeschichte


Legalisierung


Die «gewerbsmässige Unzucht» wurde 1942 für Personen mit heterosexueller Praxis, 1992 auch für alle anderen legal. Bis dahin galt der Art. 194 Widernatürliche Unzucht des 1942 in Kraft getretenen Strafgesetzbuches von 1937: «[W]er gewerbsmässig mit Personen gleichen Geschlechts unzüchtige Handlungen verübt, wird mit Gefängnis bestraft.» 1942 wurden sonstige homosexuelle Handlungen ab vollendetem 20. Lebensjahr legal (siehe Geschichte der Homosexualität in der Schweiz). Seit 1973 ist die heterosexuelle Prostitution, seit 1992 Prostitution allgemein, durch die in Art. 27 der Bundesverfassung garantierte Gewerbefreiheit geschützt. Mit dem neuen Sexualstrafrecht wurden 1992 auch Kuppelei und passive Zuhälterei legal, wobei Delikte, welche den Menschenhandel oder die Ausbeutung von Prostituierten betreffen, seither stärker geahndet werden.

Entkriminalisierung


Die Prostitution wurde 2021 insofern entkriminalisiert, als das Bundesgericht in einem Urteil die bis dahin geltende (und 1985 bzw. 2011 zuletzt bekräftigte) vertragsrechtliche Sittenwidrigkeit (gemäss Art. 20 OR) der Prostitution aufhob. Prostituierten wurde der «auf einer selbstbestimmten Vereinbarung zur Erbringung einer sexuellen Dienstleistung gegen Entgelt beruhende Anspruch […] auf Entschädigung nach Erbringung ihrer Leistung strafrechtliche Schutzwürdigkeit zuerkannt». Seither können Prostituierte also gerichtlich gegen Freier vorgehen, die für erbrachte Dienstleistungen den vereinbarten Betrag nicht zahlen wollen. Der Bundesrat hatte eine solche Aufhebung der Sittenwidrigkeit seit mehreren Jahren erwartet und sich 2012 dazu geäussert: «Heute kann auch nach Ansicht des Bundesrates ein Vertrag über die entgeltliche Erbringung von sexuellen Leistungen nicht mehr per se als sittenwidrig angesehen werden.» Ausserdem hatte der Kanton Bern zu seinem neuen Prostitutionsgesetz 2013 erklärt, «dass die Prostitution im Kanton Bern nicht mehr sittenwidrig ist» (Hervorhebung im Original), und sich damit formal über die bundesgerichtliche Sittenwidrigkeit hinweg gesetzt. Des Weiteren hatte das Bezirksgericht Horgen 2013 in einem Einzelfall gegen die geltende Sittenwidrigkeit der Prostitution entschieden und für die rechtsgültige Anerkennung des kommerziellen mündlichen Vertrags zwischen einer klagenden Prostituierten und ihrem beschuldigten Kunden, der eine Dienstleistung nicht hatte zahlen wollen. Obendrein war 2016 die Kommission für Rechtsfragen des Ständesrates der Ansicht gewesen, «dass die Gerichte Verträge zur Erbringung sexueller Handlungen gegen Entgelt zukünftig nicht mehr als sittenwidrig anschauen würden». Schliesslich führte 2021 ein weiterer juristischer Einzelfall, der Rekurs eines in St. Gallen verurteilten nicht zahlungswilligen Kunden, mit dessen letztinstanzlicher Verurteilung zur Aufhebung der Sittenwidrigkeit des Prostitutionsvertrags und so zum rechtlichen Schutz des sogenannten Dirnenlohns. Eine vollständige Entkriminalisierung der Prostitution wurde damit aber nicht vollzogen, da ihre Regelung durch das Strafrecht nicht etwa durch eine arbeitsrechtliche Regelung abgelöst worden wäre.

Restriktionen


Das gesetzliche Mindestalter für Prostituierte war lange gleich dem sexuellen Schutzalter, das 1992 für alle auf 16 Jahre festgelegt wurde, bis 2014 gemäss der ratifizierten europarätlichen Lanzarote-Konvention die Bestrafung von Freiern minderjähriger Prostituierter (unter 18 Jahre) in Kraft trat. Das entsprechende Gesetz sichert den minderjährigen Prostituierten Straffreiheit zu. Das Mindestalter für Prostitution liegt also seit 2014 de facto bei 18 Jahren. Das entspricht dem Alter der Volljährigkeit, das bis 1996 bei 20 Jahren gelegen hatte.

Eine allgemeine *Freierbestrafung* nach schwedischem Modell, wie sie in der Schweiz von radikal-feministischen und religiös-konservativen Stimmen auch in Parlamenten und Kirchen wiederholt gefordert und 2016 im Nachbarland Frankreich eingeführt wurde, lehnte der Bundesrat 2015 in einer ausführlichen Regierungserklärung zur Prostitutionspolitik ab. Im Vorfeld hatten manche Nationalräte unterschiedlicher Parteien bemängelt, dass der rechtliche Schutz – insbesondere von Frauen – in der Prostitution nicht bestmöglich gewährleistet sei. Dabei pochten die einen auf mehr Liberalisierung und berufliche Anerkennung bei voller Gewährleistung der sexuellen Selbstbestimmung, die anderen, von abolitionistischer Überzeugung, auf mehr Kriminalisierung und Repression mit dem Ziel einer idealisierten Abschaffung der gesamten Prostitution.

Während der Corona-Krise von 2020–2021 wurde die Prostitution zeitweise bundesweit und zeitweise nur in einzelnen Kantonen verboten, so z. B. in Basel. Prostituierte, die das Verbot aus wirtschaftlicher Not missachtet hatten, wehrten sich in zwei Fällen mit Erfolg gegen ihre Strafverfolgung: Ein Mann im Kanton Zürich sowie eine Frau im Kanton Aargau wurden freigesprochen wegen des rechtswidrigen Einsatzes von als Kunden getarnten Polizisten bei der Ermittlung.

Verfolgung




Sittlichkeitsbewegung (Abolitionismus)


Die im späteren 19. Jh. entstandenen abolitionistischen Sittlichkeitsvereine kämpften auch im 20. Jh. für die Kriminalisierung und die repressive Verfolgung der Prostitution (vgl. Jenzer 2014). Unter ihnen war zunächst die in Genf 1875 auf Initiative von Josephine Butler gegründete Internationale Föderation zur Abschaffung der Prostitution (FAI), die noch 1990 im UNO-Hauptgebäude Palais des Nations in Genf einen Weltkongress abhielt. Hinzu kamen ihre nationale Sektion Schweizerischer Frauenbund zur Hebung der Sittlichkeit (SFHS) mit regionalen Untersektionen, ferner der in Neuenburg 1877 entstandene Internationale Verein Freundinnen junger Mädchen, der unter dem späteren Namen Compagna noch heute fortbesteht. «Der Verband deutschschweiz. Frauenvereine zur Hebung der Sittlichkeit nannte sich ab 1921 evang. Frauenhilfe und schloss sich 1947 dem Evangelischen Frauenbund der Schweiz (EFS) an», der sich 2007 den Namen Evangelische Frauen Schweiz (EFS) gab.

Im 21. Jh. verfolgte insbesondere die radikal-feministische Frauenzentrale Zürich ein abolitionistisches Programm und forderte die strafrechtliche Verfolgung von Freiern. Auf ihre Kampagne «Stopp Prostitution – Für eine Schweiz ohne Freier» von 2018, der sich Organisationen wie z. B. die Frauenzentrale Ausserrhoden anschlossen, reagierten liberal-feministische Organisationen mit der Kampagne «Sexarbeit ist Arbeit» als Gegenoffensive. Ferner sind hier radikal-feministische Medien zu nennen wie etwa das 1993 gegründete Magazin FrauenSicht (ab 2014 als Online-Magazin), das sich heute selbst als «die führende Informationsquelle für die Gleichstellung von Frauen und Männern» bezeichnet.

Unter den politischen Parteien vertrat im 21. Jh. vor allem die EVP die abolitionistische Position aus religiös-konservativer Gesinnung. Teils ähnlich gesinnte abolitionistische Stimmen (besonders aus der CVP), teils eher radikal-feministisch gesinnte (besonders aus der SP) verlauteten auch aus fast allen anderen Parteien.

Selbstorganisation


Die Hurenbewegung, wie sie etwa in Frankreich, England oder Deutschland in den letzten Jahrzehnten als Teil des Sex Workers' Rights Movement auf sich aufmerksam machte, drückte sich in der Schweiz einerseits in der Form von einigen Initiativen der Selbstorganisation von Prostituierten aus. Unter ihnen waren auch die folgenden:



Andererseits veranstalten Sexarbeitende, meist in Zusammenarbeit mit regionalen Organisationen, in unregelmässigen Abständen kleinere öffentliche Kundgebungen, insbesondere zum Internationalen Tag für Rechte von Sexarbeitenden am 3. März, zum Internationalen Hurentag am 21. Juni, zur internationalen Sex Worker Pride am 14. September oder zum Internationalen Tag gegen Gewalt an Sexarbeitenden am 17. Dezember. Ferner beteiligten sich Sexarbeitende verschiedentlich an der Westschweizer LGBTQI-Pride sowie an Kundgebungen zum Gedenktag für die Opfer von Transfeindlichkeit am 20. November, zum Weltfrauentag oder zum Tag der Arbeit. Als Symbol der Hurenbewegung und des weiter gefassten Sex Workers' Rights Movement waren rote Regenschirme ab 2006 jeweils präsent. Unter den Kundgebungen waren auch die folgenden:



Bekannte Prostituierte




Organisationen


International


In der Schweiz sind verschiedene internationale Organisationen beheimatet, die sich laufend mit der Problematik der Prostitution auseinandersetzen. Unter ihnen: WHO, UNAIDS, IAO, UNHCR, CEDAW, IKRK.

Einige nationale und regionale Organisationen in der Schweiz sind Partnerinnen der internationalen Nichtregierungsorganisationen ICRSE (International Committee on the Rights of Sex Workers in Europe), NSWP (Global Network of Sex Work Projects) und TAMPEP (European Network for HIV/STI Prevention and Health Promotion among Migrant Sex Workers).

National


Verschiedene eher sex-positiv bzw. liberal-feministisch orientierte Nichtregierungsorganisationen setzen sich auch mit der Prostitution in der Schweiz auseinander. Unter ihnen: FIZ Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration, AIDS-Hilfe Schweiz, Terre des Femmes (Schweiz), Christlicher Friedensdienst, humanrights.ch, Amnesty International (Schweiz). Hinzu kommt ProKoRe, ein Verband, der sich spezifisch mit allen Fragen der Prostitution bzw. Sexarbeit befasst und erklärtermassen die Rechte aller Sexarbeitenden in der Schweiz vertritt. Die genannten Organisationen sind regelmässig Ansprechpartnerinnen der Bundespolitik und werden von Bundesbehörden, insbesondere bei Vernehmlassungen, zu Themen um Prostitution konsultiert.

Die Betreiber zahlreicher Nachtclubs und ähnlicher Erotik-Etablissements sind organisiert im 1934 gegründeten Arbeitgeberverband der schweizerischen Unterhaltungsgastronomie ASCO, der sich spezifisch für ihre Interessen einsetzt.

Regional


Diverse Organisationen bieten Beratungen für Prostituierte an. Quasi flächendeckend bieten die regionalen Fachstellen, die dem Dachverband ProKoRe angehören, ein administratives, psychosoziales und gesundheitliches Beratungsangebot für Prostituierte aller Geschlechter und verfahren dabei nach dem Prinzip einer anerkennenden und wertschätzenden Sozialen Arbeit, die Sexarbeit als Arbeit sieht. Die angestellten Fachleuchte der Sozialen Arbeit, Krankenpflege, Psychologie usw. arbeiten mit Prostituierten vor Ort, also in ständigem Kontakt mit der Basis. Die meisten dieser Organisationen verfügen über eine unabhängige Vereinsstruktur und haben Leistungsverträge mit öffentlichen Verwaltungsstellen, wenige sind städtische oder staatliche Einrichtungen. Sie sind regelmässig Ansprechpartnerinnen der jeweiligen kantonalen Politik und werden von Kantons- und Kommunalbehörden, insbesondere bei Vernehmlassungen, zu Themen rund um Prostitution konsultiert. Zudem bieten einige abolitionistisch orientierte radikal-feministische oder kirchliche Organisationen, darunter die Heilsarmee, Beratungen ausschliesslich für Frauen mit dem primären Ziel ihrer beruflichen Neuorientierung, ihres sogenannten Ausstiegs. Vor allem in den grösseren Agglomerationen befassen sich auch weitere Organisationen mit der Prostitution, insbesondere mit Fokus auf Gewalt (Opferhilfeprojekte), Drogengebrauch (Drogenhilfeprojekte) oder sexuelle Gesundheit (STI-Prävention) bei breiteren Zielgruppen.

Kulturelle Veranstaltungen


Ausstellungen




Theater